Im Gegensatz zur weitverbreiteten Annahme, dass die Gewalt gegen Frauen ein inakzeptables Verhalten ist, das sich hinter verschlossenen Türen, im Rahmen problematischer persönlicher Beziehungen zwischen unterprivilegierten Personen, mit niedriger Bildung und geringen Chancen für persönliche und soziale Entwicklung äußert, stellt sie ein Phänomen dar, das alle sozialen Schichten durchdringt und die bekannten Stereotypen, anhand deren in der Regel die alltäglichen Lebenssituationen interpretiert werden, in Frage stellt.
Die von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) durchgeführte weltweit größte Erhebung zerstreut die Mythen und zeigt das Ausmaß des Problems – eines Problems, das nicht mehr im Zusammenhang der Privatsphäre, sondern als eine unbequeme Wahrheit für die europäische Gesellschaft insgesamt betrachtet werden muss. Die Ergebnisse der Erhebung wurden auf der hochrangigen Konferenz zum Thema “Gewalt gegen Frauen in der EU: Missbrauch zu Hause, am Arbeitsplatz, an öffentlichen Plätzen und online”, die am 5. März, unter der Schirmherrschaft der griechischen Präsidentschaft in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union in Brüssel veranstaltet wurde.
Die Generalsekretärin für Gleichstellungsfragen, Vasso Kollia, bezeichnete die Erhebung als “eine wegweisende Arbeit, deren Wichtigkeit nicht nur auf die schwerwiegenden Befunde besteht, sondern auch daran, dass sie die Notwendigkeit einer Neuorientierung der europäischen Politik zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen hervorhebt”.
„Wir müssen den Mut finden, die peinlichen Schlussfolgerungen der EU-weiten Umfrage zur Kenntnis zu nehmen, und radikale Änderungen in der aktuellen Politik herbeizuführen. Der Erfolg unserer Anstrengungen hängt davon ab, ob wir breite soziale Bündnisse vor allem mit Männern eingehen, die unsere natürlichen Verbündeten sind”, so Frau Kollia in ihrer Ansprache.
Die von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) durchgeführte Erhebung basiert auf Interviews mit 42.000 Frauen im Alter von 18 – 74 Jahren aus den 28 Mitgliedstaaten, die verschiedene Formen physischer, sexueller oder psychischer Gewalt –einschliesslich häuslicher Gewalt durch einen intimen Partner sowie Gewalt in der Kindheit– erlitten. Die Fragen betrafen auch sexuelle Belästigung und „Stalking“-Erfahrungen (d. h. Belästigung und Nachstellungen nach Beendigung einer Beziehung) sowie die Beziehung zwischen den neuen Technologien und neuen Formen von Missbrauch. Die Auswahl der befragten Frauen war zufällig; die Befunde sind daher repräsentativ, sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene.
Nach der EU-Erhebung besteht ein weit verbreiteter Missbrauch von Frauen zu Hause, am Arbeitsmilieu, an öffentlichen Plätzen und im digitalen Raum durch den aktuellen oder ehemaligen Partner, oder auch durch Unbekannten. Jede dritte europäische Frau hat physische und/oder sexuelle Gewalt und Missbrauch seit dem fünfzehnten Lebensjahr erlebt. Dieser Prozentsatz entspricht 62 Millionen Frauen.
Weitere Befunde der Erhebung haben folgendes gezeigt:
• 22% der Befragten haben verschiedene Formen physischer und/oder sexueller Gewalt durch einen intimen Partner erlitten
• 55% der Frauen haben irgendeine Form sexueller Belästigung erlebt. 32% der Opfer berichteten, der Täter sei der Chef, ein Kollege oder ein Kunde.
• 11% der Befragten haben unangemessene Annäherungen über sog. soziale Websites erlebt oder E-Mail- oder SMS-Nachrichten mit eindeutig sexuellem Inhalt bekommen
• 22% der jungen Frauen (18 – 29) waren Opfer von Cyberbelästigung
• 43% haben irgendeine Form psychischer Gewalt durch den gegenwärtigen oder einen früheren Beziehungspartner erlebt, wie z. B.: öffentliche Erniedrigung; Verbot, das Haus zu verlassen oder Einsperrung; erzwungenes Anschauen von Pornographie; Gewaltandrohung
• 33% haben physische oder sexuelle Gewalt im Kindesalter durch einen Erwachsenen erlitten. 12% haben Erfahrungen von sexueller Gewalt in der Kindheit, die Hälfte davon durch ihnen unbekannte Männer
• 5% aller Frauen wurden vergewaltigt.
Auffällig war auch, dass 67% der Befragten schwer wiegende Gewalthandlungen des Partners der Polizei oder irgendeiner Organisation nicht gemeldet haben.
Es ist das erste Mal, dass die politischen Entscheidungsträger über vergleichbare Daten auf EU-Ebene zum Thema Gewalt gegen Frauen verfügen. Diese Erhebung ebnet den Weg zur Beurteilung und Überprüfung der bereits existierenden Politiken in diesem Bereich und zu einer evidenzbasierten Planung gezielterer Politiken und Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Μädchen.
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